BAGAGE News N° 12 vom 16.07.2025
Der weiterentwickelte Orientierungsplan ist da
Ein Kilo Orientierung feierlich präsentiert
von Friedemann Köngeter
Lange mit Spannung erwartet wurde der weiterentwickelte Orientierungsplan (WeOP) am 14. Juli in Stuttgart vor etwa 500 Anwesenden vorgestellt. Außerdem waren ungefähr 3.500 Interessierte online zugeschaltet. Ein ziemlich großer Bahnhof also für das etwa 1 Kilo schwere gelb-graue Buch, das die Meisten erstmals in Augenschein nehmen konnten. Der WeOP gilt als in seinen Zielen verbindlich für alle Kindertagesstätten in Baden-Württemberg. Das bedeutet, dass er genügend Freiheit dafür lässt, wie die Ziele zu erreichen sind.
Der bisherige Orientierungsplan wurde 2006 veröffentlicht und ist 2011 letztmals verändert worden. 2019 begann ein Evaluierungsprozess, der 2021 mit Empfehlungen für eine Weiterentwicklung endete, die sich in der heutigen Fassung wiederfinden. Es war also ein sehr langer Entstehungsprozess, in den 108 Autor:innen eingebunden waren. Nicht alle von ihnen empfanden diesen Prozess als sinnvoll und fruchtbar. Die lange Zeit der Entstehung lässt aber erahnen, dass der viel gelobte Beteiligungsprozess tatsächlich sehr partizipativ war. Neu ist unter anderem, dass auch die Kindertagespflege in den Orientierungsplan aufgenommen wurde. Die Frage des TV-Moderators Markus Brock, wie man sich denn in so einem umfangreichen Werk zurechtfinden solle, wurde mit den verschiedenen Kapiteln beantwortet. Tatsächlich erscheint vor allem das zentrale Kapitel mit den Bildungs- und Entwicklungsfeldern durch die Grafiken und Reflexionsfragen sehr sinnvoll gegliedert zu sein.
Wer den bisherigen Orientierungsplan kennt, hat es leichter, sich in der weiterentwickelten Fassung zurecht zu finden. Bisher gab es 6 Bildungs- und Entwicklungsfelder, die zusammen mit vier Grundbedürfnissen des Kindes (Wohlbefinden/Anerkennung, entdecken/verstehen, sich ausdrücken, mitbestimmen/Gemeinschaft erleben) zu einer Matrix verwoben wurden.
Die vier Grundbedürfnisse als Basis sind geblieben. Aus den bisher sechs Bildungs- und Entwicklungsfeldern (BEF) wurden acht. Neu hinzugekommen sind Ästhetik und Medienbildung. Interessant beim Thema Medienpädagogik erscheint, dass ein Handlungsfeld das eigene Herstellen von Medien ist, durch das wiederum Selbstwirksamkeit erfahren wird. Die „Ästhetische Bildung“ als neues Bildungs- und Entwicklungsfeld in der Matrix erfreut BAGAGE besonders, allerdings war es bei einem Saalvoting bei der Vorstellungsveranstaltung dasjenige BEF, dem am wenigsten Bedeutung beigemessen wurde. Sonst fallen in dieser Matrix kleinere Veränderungen auf. Den kirchlichen Trägern ist es gelungen, den Begriff Religion beizubehalten, aber aus „Sinn“ wurde „Kultur“. Aus dem BEF „Gefühl und Mitgefühl“ wurden nun mit „soziale Entwicklung“ und „Emotion und Motivation“ zwei Bildungs- und Entwicklungsfelder.
Neu sind vor allem die Leitprinzipien, die als Querschnittsziele gesehen werden und die machen durchaus Hoffnung: Kinderrechte und Kinderschutz, Inklusion, Partizipation und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Insbesondere letzteres ist erfreulich in einer Zeit, wo es so scheint, als ob die große Politik alle Fortschritte in Richtung nachhaltigem Wirtschaften rückgängig machen wolle. Mit Bildung für nachhaltige Entwicklung ist indes weit mehr gemeint als Mülltrennung in der Kita.
Neu ist auch der zentrale Begriff der Verantwortungsgemeinschaft. Bemerkenswert ist, dass dieses Konzept nicht beim Verhältnis von Kita und Eltern endet, sondern hier nur die erste von vier Ebenen sieht. Die Träger, die Kommunen, die politischen Entscheidungsträger und alle, die Einfluss auf das Wertesystem einer Gesellschaft haben, sind bei der Verantwortungsgemeinschaft mitgemeint.
Interessant ist nun, wie die Transformation in die Kitas stattfinden soll. Bisher war BAGAGE für die „Implementierung des Orientierungsplans“ zertifiziert, und hat einzelne Fortbildungen entlang der Bildungs- und Entwicklungsfelder entwickelt. Nun hat man die Koordination des Transfers dem gemeinnützigen Institut SPI mit Sitz in Berlin übertragen. Erste Fortbildungen für Kursleitungen beginnen bereits in diesen Tagen. Der Transfer ist in zwei Stufen geplant und auf mehrere Jahre angelegt. 2030 soll er abgeschlossen sein, dann ist es Zeit für die nächste Evaluierungsphase. Jedes Jahr sollen 120 „Kursleiter:innen“ an nur vier Tagen ausgebildet werden. Voraussetzung dafür ist, dass sie bereits erfahrene Weiterbildner:innen sind und mit dem bisherigen Orientierungsplan vertraut sind. Diese Kursleiter:innen bilden wiederum eine unbestimmte Zahl an Multiplikator:innen aus, dies soll in jeweils nur zwei Tagen geschehen. Die Multiplikator:innen sollen vielfach Kitaleitungen sein und wirken dann in die Kita-Teams hinein. Allerdings sind die Kurse nicht der einzige Weg des Transfers. Online steht eine umfangreiche Wissens- und Lernplattform zur Verfügung, es wird eine Vortragsreihe des Forum für frühkindliche Bildung (FFB) und weitere Qualifizierungsangebote geben. Der Orientierungsplan in Buchform ist immerhin ein Kilo schwer und wird an alle Kindertageseinrichtungen versandt.
Das erste Feedback der Praktiker:innen ist überwiegend positiv. Kita-Leiterin Julie Hamann aus March-Holzhausen sagte in einer Talkrunde auf der Bühne, dass der WeOP die Praxis sehr gut abbilde. Die Fachkräfte bekommen dadurch viel mehr Klarheit und Wertschätzung und das stärke vor allem ihren Berufsethos. Dafür bekam sie Applaus vom Publikum. Eine andere Praktikerin ist skeptisch, was die Umsetzbarkeit des Transfers in nur so wenigen Tagen angeht. Sie fürchtet, dass dieses Buch aus Zeitmangel kaum gelesen wird und findet es auch keine so gute Idee, dass es ausschließlich mit KI-generierten Bildern statt Fotos illustriert ist.
Allerdings scheinen die Erwartungen an die Implementierung einigermaßen realistisch zu sein. Fünf Jahre Zeit gibt man sich für den Transferprozess, dann soll erneut evaluiert werden, wie viel von den guten Ideen aus der pädagogischen Wissenschaft und Praxis im Kitaalltag angekommen ist.
Hier kann der gesamte weiterentwickelte Orientierungsplan als PDF von der Seite des Kultusministeriums heruntergelanden werden.